Skifahren/Snowboarden

Die klassischen Touren in Lyngen führen zu den malerischen, sanften Hügeln, die sich direkt aus dem Meer erheben. Die wirklichen Prachtstücke liegen jedoch direkt dahinter versteckt. Wie massive Stadtmauern umgeben steile Bergwände die Gletscherplateaus, die auf über 1000 Meter über dem Meeresspiegel liegen und den Schnee ein paar Grade kälter halten als in den umliegenden Gebieten. Dazu kommt, dass sie die Bergwände vor Wind schützen und die steilen, technisch anspruchsvollen Abfahrten bei den richtigen Bedingungen mit viel Schnee bedeckt bleiben.
Die Schwierigkeit ist es, bis dort zu kommen. Da eine ausgebaute Infrastruktur fehlt, dauert es gut fünf Stunden, um an das Ziel der Abfahrten zu gelangen. Die eigentliche Arbeit beginnt aber erst hier: Sie müssen sich einen 600 m langen Hang mit einer Steigung von 40° hochkämpfen – durch knietiefen Pulverschnee. Natürlich nur, wenn das Wetter mitspielt und der Schnee sicher ist.
Nach zwei Wochen, in denen ich vergeblich versuchte, die Abfahrten um den Gletscher Isskard herum zu erreichen, traf ich im Supermarkt meinen alten Kumpel Håvard Ånensen, eine lokale Snowboard-Legende.
„Die Bedingungen waren gefährlich, aber das eigentliche Problem bestand darin, dass wir, als wir gerade einmal am Ziel der Abfahrten ankamen, bereits vollkommen fertig waren. Selbst wenn der Aufstieg sicher gewesen wäre, hätten wir nicht mehr ordentlich fahren können“,
erzählte ich ihm, während der Kassierer das Bier, das ich gekauft hatte, um meine Sorgen zu ertränken, über die Kasse zog. Die zwei Wochen waren warm und windig gewesen, es hatte geschneit und geregnet. Praktisch jegliches Wetter, das man in den Bergen nicht haben will. Jetzt waren aber leichter Schneefall, stabile Temperaturen und endlich drei Tage Sonne vorhergesagt. Das würde unsere einzige Chance sein, in diesem Winter auf diese Abfahrten zu kommen.
„Wir sollten einfach da oben unser Lager aufschlagen“,
meinte Håvard, der gerne bei der Aktion dabei sein wollte. „Wären wir bereits da oben, sobald das Wetter aufklart, wären wir ausgeruht und könnten beim ersten Tageslicht starten“. Ich stimmte zu und rief den Kameramann an, um die Neuigkeiten weiterzugeben.
Nachdem ich gefriergetrocknetes Essen für eine Woche, einen Campingkocher, Brennstoff, Polartec Alpha-Isolation von Kopf bis Fuß, einen zusätzlichen Satz Funktionsunterwäsche und Socken aus Wolle, eine leichte Daunenjacke, Solarmodule für die Kameraausrüstung und die Camping-Grundausstattung in einem 35-Liter-Lyngen- und einem 45-Liter-Trollveggen-Rucksack verstaut hatte, passte gerade noch ein Schokoriegel rein. Den Helm schnallte ich einfach hinten drauf. Ich dachte kurz darüber nach, etwas zum Lesen mitzunehmen, aber dann schien mir das Taschenbuch für meine ohnehin schon überladenen Rucksäcke zu schwer zu sein.
Vom Meer aus durch die Wolken hindurch betrachtet wirkten die Berge dunkel, felsig und wenig einladend. Hier unten regnete es und Håvard, Lars Nilssen, ein weiterer Snowboarder, und ich schleppten uns durch den nassen Schnee.

Obwohl ich bei solchen Trips immer versuche, mit wenig Gewicht zu reisen, bin ich nicht bereit, bei der Leistung Kompromisse zu machen. Also war meine Ausrüstung trotz technischer Bindungen und leichter Shells genauso weit entfernt von den Zahnstochern der Spandex-Crew wie ich von ihrer Fitness auf der letzten steilen Steigung vor dem Gletscher. „Ich hoffe nur, dass der Schnee da oben gut ist“, rief ich außer Atem dem dunklen Berg und meinen Begleitern zu, die genau wie ich im mittlerweile tiefen, nur noch leicht nassen Schnee mit ihren übergroßen Rucksäcken kämpften.
Bisher war es eine Reise voller Enttäuschungen und Rückschläge gewesen, aber gerade, als wir oben am Gletscher ankamen, lösten sich Nebel und Niederschlag in Wohlgefallen auf, sodass die massive Ostflanke des Trollvasstinden mit tiefverschneiten Vorsprüngen, Graten und schier endlosen Sprungmöglichkeiten im Dämmerlicht vor uns sichtbar wurde. Weitere namenlose verschneite Gipfel erhoben sich hinter dem Trollvasstinden, rund um das Ende des Gletschers und auf der Westseite zurück bis zu uns.
Ich fühlte mich wie einer der alten Entdecker beim ersten Blick auf die unendlichen Reichtümer der Verbotenen Stadt. Als wir weiter auf den Gletscher wanderten, umgaben uns langsam all die Abfahrten, von denen ich schon immer geträumt hatte. Am Abend fiel es mir schwer, einzuschlafen, da meine Gedanken nur um das kreisten, was hinter der Zeltwand lag.

„Es wird besser ...“, sagte Håvard pragmatisch, „auf lange Sicht muss es einfach besser werden“. Wir waren am Morgen mitten im Schneesturm erwacht. „Naja, der Wetterbericht lag wohl daneben“, meinte Lars enttäuscht. Er musste an diesem Abend absteigen, da er andere Verpflichtungen hatte. Der Kameramann rief an, um uns mitzuteilen, dass er das Wetter unten aussitzen würde.
Wenn man in den Bergen ringsum nichts als Weiß sieht, wird man schnell ein wenig verrückt. Essen, Schnee schaufeln, sich in der zunehmend überbordenden Schneetoilette den Hintern abfrieren, Wasser auftauen, essen, schlafen, dann das Ganze von vorn. Am dritten Tag hatte ich mehr als einmal meine Entscheidung bereut, das Buch nicht mitzunehmen. Aber dann am Nachmittag ließ der Schneefall etwas nach – genug, um endlich mal wieder die Gipfel um uns herum sehen zu können. Schnell schnallten wir unsere Skier an und fuhren hinüber zum Fuß des Trollvasstinden. Wir schauten uns den Schnee an und diskutierten die Abfahrten wie Kinder ihre Weihnachtsgeschenke. Als wir entschieden, dass die Schneeverhältnisse stabil waren, freuten wir uns über den anstrengenden Aufstieg, nachdem wir uns die ganze Zeit im Zelt kaum bewegen konnten.
Beim Klettern über eine Bergwand kann man den Schnee fühlen, sich die Strukturen aus der Nähe anschauen und ein echtes Gefühl für Maßstäbe und Möglichkeiten entwickeln, was beim einfachen Anschauen schlicht nicht möglich ist. Da sich jedoch kurz vor dem Gipfel das Wetter wieder verschlechterte, musste ich schweren Herzens auf meine Abfahrt verzichten. Gegen den Sturm anschreiend verfluchte ich die unzuverlässigen Meteorologen, denn langsam dämmerte mir, dass ich vielleicht nie bei guten Bedingungen von diesem Berg abfahren würde.
An diesem Abend teilte mir der Kameramann mit, dass er das Warten aufgegeben und einen anderen Job übernommen habe. Ich dachte ernsthaft darüber nach, es ihm gleich zu tun.
Als ich am nächsten Morgen den Reißverschluss aufriss, um mich der Morgentoilette zu widmen, blickte ich in einen strahlend blauen Himmel. Der ganze Gletscher lag im warmen Sonnenlicht, das die verschneiten Berghänge um uns herum golden glänzen ließ. „Aufstehen, aufstehen!“ Verzweifelt schüttelte ich Håvard, damit er sich fertig machte. Ich hatte keine Ahnung, wie lang das Wetter halten würde und wollte mir diese Chance nicht entgehen lassen. „Mann, ich brauche erst mal einen Kaffee“, Håvard schien unbeeindruckt, das wie von Geisterhand dieser unerbittlich-weiße Vorhang ringsum endlich aufgezogen war. „Wie du willst, aber dann trink ihn draußen, damit du ein Auge auf mich werfen kannst“, antwortete ich ihm, während ich die Skier anschnallte und die kurze Strecke zur Ostflanke des Trollvasstinden sprintete.
Wieder oben angekommen, dieses Mal mit Aussicht auf die gesamte Halbinsel Lyngen, endlose, von Fjorden durchbrochene Bergketten und den unendlichen Nordatlantik im Hintergrund, zog ich mir ein paar Schichten Isolierkleidung über und genoss bei einigen gerösteten Cashews den Moment. Das sonnige Wetter schien zu halten, meine Beine waren frisch und der Schnee lag stabil, tief und unberührt bis hinunter zum Camp – ein kleiner schwarzer Punkt in der endlosen weißen Wüste.
Ich spare mir die Details zur Abfahrt, Sie können sie sich hier anschauen:
Dem Licht der Sonne folgend fuhren wir zwei ähnlich aufregende Gipfel um den Gletscher hinab, bevor es sich gegen fünf Uhr nachmittags wieder zuzog und wir beschlossen, dass unsere Zeit in diesem weißen Hotel zu Ende ging.
